Enge Straßenschluchten, atemberaubend in den Himmel ragende Wolkenkratzer, opulent dekorierte Schaufenster, in denen sich der dichte Großstadtverkehr spiegelt. Wohl kaum eine andere Stadt der Welt ist so häufig von Fotografen in Szene gesetzt worden wie New York City. Das Bucerius Kunst Forum in Hamburg demonstriert jetzt in der Ausstellung „New York Photography 1890-1950. Von Stieglitz bis Man Ray“, wie dem einst profanen Knipsermedium die höheren Weihen der Kunst zugestanden wurden. Es ist die erste Ausstellung in der zehnjährigen Geschichte des Bucerius Kunst Forums, die sich ausschließlich der Fotografie widmet. 180 Aufnahmen von mehr als 40 Fotokünstlern sind zu sehen.
Direktorin Ortrud Westheider legt das Augenmerk dieser wissenschaftlich hervorragend erarbeiteten Schau auf zwei Protagonisten der frühen New Yorker Fotografieszene. Alfred Stieglitz (1864-1946) und Edward Steichen (1879-1973) gelten als maßgebliche Pioniere der piktorialistischen Fotografie, die sich ästhetisch an den weichen Konturen des europäischen Impressionismus orientierte und sich so um die Anerkennung als Kunstform bemühte. In ihrer legendären Gallery 291 in der Fifth Avenue versammelten die beiden ambitionierte Fotografen aus den USA und junge Avantgardekünstler aus Paris. Die von Stieglitz und Steichen maßgeblich vorangebrachte Gruppe Photo-Secession wollte der noch überwiegend von Fotoklubs und Amateuren beherrschten Fotografie eine neue Richtung geben und ihr anspruchsvolles künstlerisches Terrain erobern. In der progressiven Fotozeitschrift „Camera Work“ wurden junge Talente wie der Stieglitz-Schüler Paul Strand vorgestellt. Die Rechnung ging bald auf. Die Fotografie trat in New York einen sagenhaften Siegeszug an, sowohl was ihre Verbreitung in Magazinen betraf, als auch was die frühe museale Anerkennung des Mediums anging. Das Museum of Modern Art richtete bereits 1947 als erstes Museum weltweit eine eigene Abteilung für Fotografie ein. Edward Steichen entwickelte dort bahnbrechende Ausstellungen.
Das Bucerius Kunst Forum gewährt nun einen profunden Einblick in die frühe Fotografiegeschichte der Stadt am Hudson. Neben Aufnahmen aus der Zeit des Piktorialismus versammelt die Ausstellung aber auch viele Beispiele aus der Street Photography. Die Fotografie als soziale Dokumentation kommt ebenso vor wie typische Stadt- und Architekturaufnahmen. Beispielhaft auf den Aufnahmen des deutschstämmigen Andreas Feininger, der im New York der 1940er Jahre Ingenieursleistungen wie in die Höhe schießende Wolkenkratzer und kühne Brückenkonstruktionen mit kongenialer Präzision ins Bild setzte, kann man erkennen, dass die Fotografen damals mit extremen Weitwinkeln, extravaganten Auf- und Untersichten und starken Licht- und Schattenkontrasten gearbeitet haben. Ebenfalls zu sehen sind die heimlichen Aufnahmen von Fahrgästen, die Walker Evans in der New Yorker U-Bahn gemacht hat. Weegees ikonische Aufnahmen von Erholung suchenden Massen am Strand von Coney Island oder von einem brennenden Haus in Manhattan dokumentieren das oftmals entbehrungsreiche Leben in einer Metropole voller gesellschaftlicher Kontraste.
Fotografien von William Klein, Clemens Kalischer oder Helen Levitt wiederum zeigen die Straße als Abenteuerspielplatz wenig privilegierter Kinder in Harlem oder der Lower East Side. Berenice Abbott hingegen, als Assistentin Man Rays und Nachlassverwalterin des kauzigen Pariser Flaneurs und Schaufensterfotografen Eugène Atget 1929 frisch nach New York zurückgekehrt, entdeckte bald auch in Manhattan die Auslagen der Geschäfte als geeignete Motive für ästhetisch überzeugende Aufnahmen. Die Schönheit der industriellen Bauten und modernen technischen Errungenschaften fing Paul Strand ein. In seine fast abstrakt wirkenden Aufnahmen integriert er spiegelnde Linien und Details von Maschinengehäusen. Man Ray geht in seinen Abstraktionen noch einen Schritt weiter. In seiner kameralosen Fotografie, den sogenannten Rayogrammen, experimentiert er mit dem Lichteinfall und der Komposition von Alltagsobjekten auf Fotopapier.
Die Hamburger Ausstellung beschränkt sich auf die Zeit bis 1950. Das stets an der Vermittlung größerer Zusammenhänge interessierte Bucerius Kunst Forum, das sich in den vergangenen Jahren im Rahmen einer Trilogie bereits intensiv mit der amerikanische Malerei zwischen 1800 und 1950 beschäftigt hat, setzt mit dieser Schau den analytischen Blick auf die nordamerikanische Kunstproduktion fort. Man darf gespannt sein, ob das Thema Fotografie nach diesem gelungenen Auftakt in Zukunft eine größere Rolle im Programm des Hauses spielen wird.
Die Ausstellung „New York Photography 1890-1950. Von Stieglitz bis Man Ray“ ist bis zum 2. September zu sehen. Das Bucerius Kunst Forum Hamburg hat täglich von 11 bis 19 Uhr, donnerstags zusätzlich bis 21 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 8 Euro, ermäßigt 5 Euro. Der 264seitige Katalog ist im Hirmer Verlag erschienen und kostet 29,80 Euro in der Ausstellung, 39,90 Euro im Buchhandel. |