 |  | Józef Brandt, Am Heimweg. Krankentransport (polnisches Lager), 1865 | |
Es dürfte kein Zufall sein, dass das Dorotheum bei der Auktion von Gemälden des 19. Jahrhunderts ein Werk des polnischen Malers Józef Brandt preislich an der Spitze positioniert hat. Der 1841 geborene, durch große Schlachtengemälde bekannt gewordene Künstler hat bei Versteigerungen in den letzten Jahren meist gute Zuwächse erzielt: So ging erst im März bei Yves Siebers in Stuttgart eine wilde „Schlacht zwischen Kosaken und Tataren“ statt der veranschlagten 80.000 bis 150.000 Euro für 290.000 Euro übers Pult und markiert nun das bestbezahlte Werk Brandts außerhalb Polens. Das Wiener Auktionshaus setzt nun für seine ruhigere Nachkampfszenerie „Am Heimweg. Krankentransport (polnisches Lager)“ aus dem Jahr 1865 die stolze Summe von 220.000 bis 280.000 Euro an und hat gute Aussichten, den Zuschlag über diesem Schätzpreis erteilen zu können.
Das Bild des 24jährigen, der später von München aus brillante Erfolge erzielen sollte, demonstriert bereits seinen geschickten Umgang mit der Perspektive und erzählt mit detailliert ausgeführter Dramatik: Mann und Pferd ziehen mit verbissener Kraft an einem Wagen, dessen Räder durch den Morast des Weges pflügen. Ein kostbar gekleideter Reiter auf einem Schimmel bildet mit einer hell aufgebrochenen Stelle in den grauen Wolken des Himmels eine spannungsvolle Linie und setzt im Gemälde gleichzeitig den Schwerpunkt des Lichts, von dem aus das Gespann in erdiges Dunkel zieht.
Einen ähnlich hohen Betrag, 180.000 bis 240.000 Euro, erhofft sich das Dorotheum von einem böhmischen Maler: Jakub Schikaneder, zu dessen Vorfahren der Theatermann und Librettist der „Zauberflöte“ Emanuel Schikaneder gehört, schuf zwischen 1910 und 1920 das nächtliche, symbolistisch angehauchte Stimmungsbild eines Dampfers auf der Moldau vor der Palacký-Brücke. Solche durch Dunst und Nebel impressionistisch verunklarten Motive waren sehr beliebt; die melancholische, manchmal geheimnisvoll unbestimmte Atmosphäre seines berühmten Bildes „Die Lollarden-Procession“ von 1882 – ein „fröstelnd grauer Hintergrund als Grundton für dessen ganze Stimmung“ – findet sich auch in diesem Nachtstück aus Prag.
Makarts erlesen verruchter Geschmack
Unter den acht – von rund 175 – in den sechsstelligen Preisbereich ragenden Arbeiten sind zwei bemerkenswerte Stücke von Hans Makart. Das pikante, als Ensemble unter Denkmalschutz stehende Triptychon „Moderne Amoretten“ aus dem Jahr 1868 malte der 28jährige als Teil der Ausstattung seines bis dahin nur in der Fantasie existierenden künftigen Ateliers. Auffällig ist nicht nur die technische Perfektion und der erlesene Geschmack des jungen Malers, sondern auch die thematische Ambivalenz des symbolgesättigten Bildes, die von seinem Titel eher ins Unbestimmte geöffnet als auf einen bestimmten Gedanken hin kanalisiert wird. Das Bild erzeugte bei der Erstpräsentation des Münchner Kunstvereins begeisterte, wie umstrittene Reaktionen; die Kritik sprach von einer „Erneuerung der Kunst“, aber auch von „Bordellkunst“ und einer „altklugen Koketterie und greisenhaften Lüsternheit“. Sind doch die sonst kinderhaften Amoretten bei Makart, der damals noch an der Münchner Akademie studierte, seltsam ins Erwachsenenalter entrückt und haben ihre Unschuld schon längst verloren. Ein Jahr später begann Makart seine beispiellose Karriere in Wien. Das geschichtsträchtige Ensemble, das Graf János Pálffy-Erdöd noch im Entstehungsjahr ankaufte, nun von der Sammlung der Unicredit-Bank ins Dorotheum eingeliefert wurde und der Makart-Experte Gerbert Frodl im Katalogbeitrag als „Meisterwerk der Malerei des Historismus“ apostrophiert, ist mit nicht allzu hohen 100.000 bis 150.000 Euro beziffert.
Ein Jahr nach den „Amoretten“ – und mit deutlichen Bezügen zu diesen – malte Makart in Wien einen weiteren Teil der geplanten Ausstattung von Wohnung und Atelier: „Nacht und Morgen“, ein Deckengemälde in vier Teilen für das Speisezimmer. Die Darstellung zieht den Blick nach Manier der barocken Quadraturmalerei in eine fiktive hohe Halle; die Architektur tritt aber zurück hinter einen zentralen Kranz aus Blumen, Trauben und Früchten und wird dekorativ verunklart durch Stillleben und Blütengirlanden. Die kostbare Farbigkeit weist auf die üppige Sinnlichkeit späterer Werke voraus. Auch hier ist die durch zahlreiche Bankenfusionen entstandene Sammlung der Unicredit die Einlieferin und will für die vier auf Leinwand aufgezogenen Blätter 80.000 bis 160.000 Euro sehen.
Bilder des Wiener Biedermeier-Malers Ferdinand Georg Waldmüller bieten nach wie vor sichere Aussichten auf gute Erträge. Das Ölgemälde „Das gutmütige Kind“, angesetzt auf 150.000 bis 200.000 Euro, befand sich bis zum Zwangsverkauf 1938 im Besitz des Verlegerpaares Irma und Oscar Löwenstein. Nach dem Krieg unter anderem im Von der Heydt-Museum Wuppertal als Leihgabe der Bundesrepublik Deutschland ausgestellt, wurde die liebevolle Szene, in der ein Kind unter den Augen der Mutter einem Bettler ein Stück Brot reicht, 2019 restituiert und gelangt nun zugunsten der „sight loss charity“ der britischen Vision Foundation zur Versteigerung.
Ferdinand Georg Waldmüller ist darüber hinaus noch vier Mal im Katalog vertreten: „Der Wolfgangsee“ ist ein „halber“ Waldmüller, denn das wohl unvollendet gebliebene Gemälde mit dem vom Künstler mehrfach verwendeten Bergpanorama wurde im unteren Teil von unbekannter Hand des 19. Jahrhunderts mit einem Bauernhaus im Vordergrund vollendet. Der Zwitter steht diesmal für 50.000 bis 70.000 Euro zur Disposition. Festgehalten in feinster malerischer Qualität, blickt auf einem 28 mal 21 Zentimeter großen Porträt der Hutmachermeister und Hoflieferant Franz Benoit den Betrachter lächelnd mit gütig-einladenden Augen an. Die Begegnung sollte dem Käufer 15.000 bis 18.000 Euro wert sein. Unkonventioneller, doch in Inkarnat und Modellierung nicht so ausgefeilt, wirkt Waldmüllers unvollendetes „Mädchen mit aufgestützten Armen“ (Taxe 12.000 bis 16.000 EUR). Ein weiteres Porträt mit gleich hoher Taxe zeigt den Hofbeamten Josef von Stadler.
Spektakuläre Rundumblicke
Den Kärntner Landschaftsmaler Markus Pernhart darf man als Visionär beschreiben. Mit seinen spektakulären Rundumblicken schuf er ab etwa 1857 großformatige Bildserien, die dem Betrachter durch ihre Anordnung die Illusion vermitteln, selbst im Zentrum des Geschehens zu stehen und auf eine überwältigende Landschaft zu blicken – so wie ein Bergsteiger vom Gipfel aus das Panorama genießt. Das erste dieser Projekte ist ein 1860 erstmals ausgestelltes Großglockner-Panorama, etwa zwei Dutzend weitere folgten. Im Dorotheum wird nun das steirische Koralpen-Panorama von 1867 versteigert. Die spektakuläre Wiederentdeckung befand sich seit vier Generationen in österreichischem Privatbesitz und taucht nun erstmals am Kunstmarkt auf. Die vier Leinwände, je 92 auf 190 Zentimeter groß, halten geografisch genau und mit Hilfe geodätischer Instrumente exakt vermessen die Landschaft fest, wie sie sich vor der Verbauung im 20. Jahrhundert dem Blick präsentiert hat. Auf 80.000 bis 120.000 Euro wird dieses seltene Ensemble geschätzt.
Aus den Bergen hinab zum Meer: Dem vor knapp 100 Jahren in Venedig verstorbenen Pietro Fragiacomo verdankt die Kunstwelt zahllose Genrebilder aus der Lagune. Seine letzte Hommage an die Serenissima kurz vor seinem Tod 1922 ist eine Impression aus dem „Golf von Triest“, die von den vielfältigen, zwischen hellem Türkis und tiefem Blau oszillierenden Farbnuancen des Meeres dominiert wird. Ein Fischerboot und Segelkähne dümpeln vor dem weit nach oben gezogenen Horizont mit der schemenhaft im Licht glänzenden Stadt. Wie schon im vergangenen Jahr erwartet das Dorotheum 100.000 bis 150.000 Euro für dieses Spätwerk Fragiacomos.
Kreuz und quer durch Venedig
Venedig ist bei dieser Versteigerung reichlich präsent: Auf marktgerechte 50.000 bis 70.000 Euro taxiert das Dorotheum eine Ansicht des Campo SS. Giovanni e Paolo mit der gleichnamigen Kirche und der Scuola Grande di San Marco. Sie stammt von dem Vedutenmaler Luigi Querena, einem 1824 geborenen Künstler, der im Venedig des 19. Jahrhunderts hohes Ansehen genoss und sogar mit Canaletto verglichen wurde. Er ist auch der Schöpfer einer stimmungsvollen Ansicht der heute nicht mehr genutzten, frühgotischen Kirche Santa Marta auf dem Dorsoduro im Abendrot und des – bis dato noch existierenden – „Squero di San Trovaso“ mit Venezianern, die das Redentore-Fest feiern. Einen klassischen Venedig-Blick gewährt Giovanni Grubacs’ „Ansicht des Palazzo Ducale vom Bacino aus“, auf dem der Dogenpalast hinter der von Gondeln belebten Wasserfläche im Abendlicht glänzt. Die Bewertungen für diese Bilder bewegen sich von 40.000 bis 70.000 Euro.
In Venedig und Triest wirkte der 1844 gestorbene Giuseppe Bernardino Bison, von dem eine akzentlose und weit gezogene „Ansicht des Canal Grande vom Palazzo Balbi aus in Richtung der Rialto-Brücke“ für 30.000 bis 40.000 Euro zum Verkauf steht. Mit der Magie des Lichts in der Lagune spielt dagegen Guglielmo Ciardis „Barca al tramonto“: Das Boot schwebt klein wie ein dunkler Fleck und leicht aus dem Bildzentrum gezogen in einem weiten Meer graublauer und in Orangetönen nuancierter Farben (Taxe 28.000 bis 36.000 EUR). Auf Stimmung setzt auch der sonst eher in nördlichen Gefilden wirkende englische Schiffs- und Landschaftsmaler Edward William Cooke, der 1852 die Kirche Santa Maria della Salute im Gegenlicht des Abendrots dunkel aufragen lässt (Taxe 15.000 bis 20.000 EUR). Nach dem Untergang der Sonne blickt dann Ippolito Caffi auf den im Mondlicht silbern glänzenden „Molo di San Marco mit der Riva degli Schiavoni“, wobei die beiden Säulen, zwischen denen kein Venezianer durchgeht, einen dunkel-unheimlichen Vordergrund bilden. Das Nachtstück ist für günstige 6.000 bis 8.000 Euro zu haben.
Schmutziger Schnee im Norden
In eine ganz andere Landschaft führt eine „Nebelige Morgenstimmung in der Umgebung von St. Petersburg“ von Andrei Nikolajewitsch Schilder. Die lichten, im Nebel verschwindenden Bäume, der braune Boden mit totem Holz und Felsbrocken und ein jagendes Greifvogelpaar geben dieser Szene eine kühle, herbe Poesie (Taxe 30.000 bis 40.000 EUR). Als getrenntes Pendant tritt Schilders „Sommertag in der Umgebung von St. Petersburg“ zu gleichen Wertvorstellungen an. Schmutziger Schnee, eine grau verschwimmende Weite und ein einsames Haus mit einem vorbeifahrenden Karren lassen auch bei Petr Alekseevich Levchenkos „Heimfahrt im Winter“ melancholische Gefühle aufkommen, als sei gerade der Ochsenkarren aus Modest Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“ vorübergepoltert (Taxe 4.000 bis 6.000 EUR). Auch Stanislaw Zukowskis „Verschneiter Waldweg“ evoziert mit seinen in bläulichen Lichtnuancen schimmernden verschneiten Nadelbäumen winterliches Frösteln (Taxe 13.000 bis 18.000 EUR). Sonniger und lebendiger geht es auf einer Festwiese des Moskauer Malers Boris Wladimirowitsch Ioganson zu, der im stalinistischen Russland der 1930er Jahre ein „Erntedankfest in der Iljitsch Kolchose“ als unbeschwerte Idylle interpretierte (Taxe 18.000 bis 25.000 EUR).
Zurück nach Venedig: Dort verewigte Eugen von Blaas eine junge Dame mit rotem Fächer in einem spontan wirkenden Porträt. Der kokette Blick der Venezianerin in Tracht geht an ihrem Fächer vorbei und wirkt wie eine gelungene Momentaufnahme. Das Bild aus einer amerikanischen Privatsammlung ist auf 120.000 bis 180.000 Euro veranschlagt. Wesentlich gesitteter gibt sich eine junge Frau, die auf einem Gemälde Franz von Defreggers aus dem Jahr 1889 einem angestrengt ins Buch blickenden kleinen Jungen „Leseunterricht“ gibt. Die ländliche Bildungsharmonie ist auf 20.000 bis 25.000 Euro taxiert.
Völlig entspannt wirkt die Atmosphäre in einem anderen Teil der Erde: „An Afternoon in Algiers“ von Frederick Arthur Bridgman verbindet Exotismus, angedeutete Erotik und eine gelöste, vertrauliche Häuslichkeit. Eine junge Frau rekelt sich in kostbarem, leichtem Gewand auf einer Liege im Bildzentrum, einen Fächer in der über den Kopf gestreckten Hand; der Hintergrund gibt durch ein geöffnetes Fenster den Blick auf die sonnenbeflutete Küstenstadt und ein exotisches Gehölz frei. Im Vordergrund füttert ein Kind eine kleine Gazelle, ein rundes Tischchen trägt ein Blumen- und Früchte-Stillleben, und auf einem Tigerfell kauert eine schwarze Frau mit einem Zupfinstrument. Der Eindruck aus einem fantasiegesättigten Nordafrika, der seit einem Jahrhundert in derselben Privatsammlung verblieb und neu auf dem Kunstmarkt ist, soll 60.000 bis 80.000 Euro erbringen. Stickiger durchdringt die Schwüle eines abgedunkelten Innenraums im Sommer das Bild einer „Schlafenden Odaliske“. Der vor 100 Jahren gestorbene Ferdinand Max Bredt legt die junge Frau ins Halbdunkel. Ein verhängtes Buntglasfenster lässt das Sonnenlicht nur in einem Streifen ein, der über die entblößte Brust der Ruhenden streift. Die pikante Szene lässt auf 15.000 bis 20.000 Euro hoffen.
Beim Streifzug durch die Vielfalt des 19. Jahrhunderts bleibt der Blick an einer „Gebirgsmühle“ von Carl Spitzweg hängen, die sich an einen düster nach oben gereckten Hang klammert. Die winzige Figurengruppe am Rand des hellen Feldwegs – oder ist es ein trockenes Bachbett? – gibt der Szene einen Zug ins Rätselhafte: Warnt eine ausgestreckte Hand die beiden Passantinnen vor dem Abstieg in den dunklen Abgrund? Wer das Rätsel meditierend lösen will, sollte bereit sein, mindestens 40.000 bis 50.000 Euro zu investieren. Heller und geheimnisloser geht es dagegen „Am Quai Malaquais“ in Paris zu, wo Jean-François Raffaëlli eine lebhafte Straßenszene in der kreidigen Helle eines Herbsttags festhielt (Taxe 50.000 bis 80.000 EUR).
Bedeutende Malerinnen
Last but not least sei auf Werke von einigen Künstlerinnen des 19. Jahrhunderts hingewiesen: Von der bedeutenden österreichischen Landschaftsmalerin Tina Blau gibt es mit dem „Kleinen Prater“ eine ruhevolle herbstliche Baumlandschaft aus dem Auwald (Taxe 22.000 bis 28.000 EUR) und eine sattfarbige Studie von „Heiligenstadt“ um 1893 mit einem beinahe schon dramatischen blaugrauen Himmel, gesprenkelt mit rosenfarbenen Wölkchen (Taxe 12.000 bis 15.000 EUR). Sattblau erstreckt sich ein Meeresarm entlang einer mediterranen Küste auf einem Gemälde von Lea von Littrow, die schon zu Lebzeiten für ihren lichtdurchfluteten Impressionismus hoch geschätzt wurde. 28.000 bis 35.000 Euro soll die imaginäre Reise in südliche Gefilde kosten. Und noch einmal Venedig: Die aus Böhmen stammende Antonietta Brandeis war die erste Frau, die an der Akademie in Venedig studieren konnte. Zwei ihrer zahlreichen Venedig-Veduten, die „Ca d’oro“ und der „Palazzo Contarini“, sowie eine Ansicht von Rom mit der Engelsburg, dem Ponte Sant’Angelo und dem Petersdom im Hintergrund stehen für Schätzungen zwischen 4.000 und 8.000 Euro zum Verkauf.
Die Auktion, zu der eine beschränkte Teilnehmerzahl im Saal mit Voranmeldung zugelassen ist, beginnt am 7. Juni um 16 Uhr. Die Besichtigung ist bis zum Auktionsbeginn täglich von 10 bis 17 Uhr, sonn- und feiertags von 14 bis 17 Uhr möglich. Der Katalog listet die Objekte unter www.dorotheum.com. |