Rücktrittsforderungen nach Documenta-Skandal  |  | Sabine Schormann hat eine Untersuchung weiterer Kunstwerke auf antisemitische Inhalte angekündigt | |
Nachdem das Kunstwerk „People’s Justice“ des indonesischen Kollektivs Taring Padi nach heftigen Antisemitismusvorwürfen von der Documenta entfernt wurde, hält die politische Diskussion um die Vorkommnisse an. Es steht der Vorwurf im Raum, das Kunstwerk, das unter anderem einen Soldaten mit Schweinsgesicht zeigt, der einen Davidstern und einen Helm mit der Aufschrift „Mossad“ trägt, hätte gar nicht öffentlich ausgestellt werden dürfen. Rücktrittsforderungen in Richtung der Generaldirektorin der Weltkunstausstellung und Geschäftsführerin der Documenta gGmbh, Sabine Schormann, werden immer lauter.
Gegenüber der Hessischen Niedersächsischen Allgemeinen (HNA) kündigte Schormann nun eine Gesprächsreihe an, in deren Rahmen die Vorwürfe aufgearbeitet werden sollen. Gleichzeitig wies Schormann die an sie persönlich gerichteten Vorwürfe zurück und betonte die kuratorische Verantwortung von Ruangrupa, den künstlerischen Leitern der diesjährigen Documenta. Die kritisierten Darstellungen seien „im Tohuwabohu des Eröffnungswochenendes zunächst nicht aufgefallen“. Ab jetzt werde systematisch untersucht, „ob weitere kritische Werke auftauchen. Dabei wird auch Ruangrupa seiner kuratorischen Aufgabe gerecht werden müssen. Unterstützt werden sie dabei von anerkannten Experten wie Meron Mendel von der Bildungsstätte Anne Frank“, so Schormann weiter.
Sabine Schormann reichte in der HNA die Verantwortung an Ruangrupa weiter und sagte: „Die Künstler haben versichert, dass es keinen Antisemitismus geben wird.“ Gleichzeitig seien jedoch auch kulturelle Unterschiede zwischen Deutschland und Indonesien Teil der Situation: „Das Problem ist, dass es aus ihrer Sicht kein Antisemitismus ist. Und an dieser Stelle liegt das Missverständnis. Sie haben ihre Aufgabe aus ihrer Perspektive wahrgenommen, und es ist ihnen aufgrund unserer unterschiedlichen kulturellen Erfahrungsräume zu spät aufgefallen, dass ein solches Motiv in Deutschland absolut inakzeptabel ist.“
Wie hoch die Gemüter rund um die Documenta Fifteen derzeit kochen, lässt sich am enormen Presseecho ablesen. Hatte etwa die Kunstzeitschrift Monopol die Eröffnungsrede von Bundespräsident Steinmeier, in der dieser die Grenzen der Kunstfreiheit aufzeigte und die seit Jahresbeginn schwelenden Antisemitismusvorwürfe thematisierte, noch als einen „Skandal“ bezeichnet, so spricht die Jüdische Allgemeine jetzt bereits von einer „Documenta der Schande“ und fordert gar den Rücktritt von Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Neben Roth und Schormann steht auch der Documenta-Beirat, der sich aus Kunstschaffenden zusammensetzt und dem Kollektiv Ruangrupa das Kuratieren der Schau anvertraute, in der Kritik. Wie dessen beratende Tätigkeit im Fall der Arbeit von Traing Padi genau aussah, wird zu hinterfragen sein. Auch die zukünftige Finanzierung der Kunstschau steht nun in der Debatte. Ob etwa der Bund die Documenta unter den aktuellen Umständen weiter unterstützt oder mehr Einfluss will, wie heute Claudia Roth forderte, bleibt abzuwarten.
Jörg Sperling, Vorsitzender des Documenta-Forums, vertrat gegenüber der DPA die Meinung: „Eine freie Welt muss das ertragen“. Mit dem indonesischen Kollektiv Ruangrupa habe man sich in diesem Jahr bewusst dafür entschieden, eine dezidiert andere Sicht auf Kunst und Kultur einzuladen: kollektiv, aus dem globalen Süden, abseits des Kunstmarkts. „Nun muss man auch aushalten, dass diese Menschen einen anderen Blick auf die Welt haben.“ Wie auch immer der Streit um das nun abgehängte Werk „People’s Justice“ weitergeht, justiziabel erscheint bislang keine der vorgebrachten Anschuldigungen, wenngleich der aktuelle Fall alte Diskussionen um eine angemessene Art der Israel-Kritik sowie die Trennschärfe zwischen Kunst und Politik mit aller Macht erneut ins Rollen gebracht hat. |