„Man muss etwas machen, und die anderen es dann sehen und darüber reden lassen. Jeden Tag, wenn ich spazieren gehe, finde ich weggeworfene Dinge und nehme diejenigen mit, die zu mir sprechen. Mit ihnen erzähle ich eine Geschichte“, sagt Georges Adéagbo, der im April des vergangenen Jahres seinen 80. Geburtstag feierte. Das Hamburger Ernst Barlach Haus hat den westafrikanischen Künstler nun eingeladen, mit den Werken Ernst Barlachs in einen Dialog zu treten. Keine Auftragsarbeit im eigentlichen Sinne, sondern ein Reflex auf ein offenbar schon länger bestehendes Interesse des Künstlers am Werk des expressionistischen Bildhauers und Dramatikers. Karsten Müller, dem Direktor des Barlach Hauses, war aufgefallen, dass Adéagbo bereits in früheren Arbeiten Barlach-Anspielungen verwendet hatte. Dieses offensichtliche Interesse nahm er zum Anlass, den Künstler einzuladen, sich mit seinen raumgreifenden Materialassemblagen ohne jegliche kuratorische Vorgabe in dem Museum auszubreiten.
Georges Adéagbo stellt seit den frühen 1990er Jahren im internationalen Kontext aus. Seit seiner Teilnahme an der Biennale Venedig 1999 und an der von Okwui Enwezor kuratierten Documenta 11 im Jahr 2002 gilt er als einer der wichtigsten aus Afrika stammenden Künstler unserer Zeit. Seit vielen Jahren lebt er abwechselnd in Benin und Hamburg. Für seine Ausstellung mit dem Titel „À l’école de Ernest Barlach, le sculpteur“ hat der Sammler, Flohmarktgänger und Arrangeur aus dem Vollen geschöpft: Schlager-LPs, populärwissenschaftliche Bücher über Afrika, aktuelle Zeitungs- und Magazincover, Postkarten, Belletristik, Groschenromane, Kunstbände, Barlach-Kataloge und -Schriften, Landkarten, Souvenirs aus Afrika, Masken und andere Kultgegenstände bilden die visuelle Folie, vor der rund 50 aus der Sammlung des Hauses stammende Barlach-Originale präsentiert werden; darunter so berühmte Holzskulpturen wie „Der Berserker“, „Der Rächer“ oder „Moses“. Manche seiner Fundstücke hat Adéagbo einfach nur an die Wand gepinnt oder auf den Boden des Ausstellungsraums gelegt. Andere finden sich zu neuen Bedeutungszusammenhängen verdichtet in weißen Vitrinen oder sorgsam arrangiert auf Orientteppichen wieder.
Alles scheint mit allem verbunden zu sein. Die hier versammelten Objekte stehen in vielfältigen Beziehungen zueinander, zu ihren Produzenten, zum Raum und dem institutionellen Kontext, in dem sie jetzt ausgestellt sind. Das All-over von narrativen Verästelungen bildet den Humus für Adéagbos transkulturelle Botschaften. Für sich allein betrachtet blieben viele dieser Gegenstände ohne weitere Bedeutung. Erst durch ihr Zusammenspiel erzeugen sie ein komplexes Netzwerk, das die Betrachtenden in den mit persönlichen Erinnerungen, politisch-gesellschaftlichen Fragestellungen und philosophischen Reflexionen angefüllten Kosmos des Künstlers hineinzieht. Durch seine spezifische Kombinatorik gelingt es Adéagbo, immer wieder vorgefundene Räume neu zu definieren. Die prozesshafte Herangehensweise kommt dabei einem Akt der künstlerischen Autonomieerklärung gleich. Vorstellungen von fluider, transkultureller Identität, afrikanischer Diaspora und Selbstreflexion sind integrale Bestandteile seiner Arbeit.
Besonders sichtbar wird das an einer Reihe von Auftragsbildern, die Georges Adéagbo bei Reklamemalern in seiner Heimat bestellt hat. Ausgehend von Postkarten, haben diese Barlach-Skulpturen in Malerei übertragen – kleine Übersetzungsfehler inklusive. Der zumindest aus heutiger Sicht weihevollen Ernsthaftigkeit und bleiernen Schwere des Barlachschen Skulpturenkosmos setzt der Weltbürger Adéagbo im Ernst Barlach Haus neue, immer wieder erfrischende Nachbarschaften entgegen. Den wohlwollenden Respekt vor dem Lebenswerk seines älteren Künstlerkollegen lässt er dabei jedoch an keiner Stelle vermissen.
Die Ausstellung „Georges Adéagbo. À l’école de Ernest Barlach, le sculpteur. Hommage zum 80. Geburtstag“ ist bis zum 19. Februar zu sehen. Das Ernst Barlach Haus hat dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 7 Euro, ermäßigt 5 Euro; für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahr ist er frei. Der 96seitige Ausstellungskatalog aus dem Verlag Kettler kostet 29 Euro. |