 |  | in der Ausstellung „Jenny Holzer“ | |
Mitten in der nördlichen Eingangshalle des Berliner Reichstagsgebäudes steht seit 1999 eine vierseitige raumhohe Lichtstele mit LED-Anzeige. Quasi als Einstieg in die parlamentarische Arbeit laufen hier flott und elektronisch gesteuert auf Schriftbändern Reden aus den verschiedenen deutschen Parlamenten zwischen 1871 und 1999. Weltweites Renommee hat sich die 1950 in Gallipolis in Ohio geborene und heute bei New York lebende und arbeitende Künstlerin Jenny Holzer mit derartigen LED-Installationen verschafft. Aber auch Poster, Gemälde oder Arbeiten in Stein finden sich in ihrem medienübergreifenden Schaffen. Als Bindeglied dienen Kritiken an gesellschaftlichen Zuständen in Form geschriebener Worte und deren öffentliche Dimension. Ihre Arbeit ist höchst politisch und gerade jetzt hochaktuell. So kommt der herausfordernde, von Vivien Trommer einfühlsam wie griffig konzipierte Werküberblick in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen genau zur rechten Zeit.
Die Auswahl verteilt sich auf zwei Ebenen in K21, dem alten Ständehaus in Düsseldorf, das von 1880 bis in die 1930er Jahre als Parlamentsgebäude des Provinziallandtags der preußischen Rheinlande fungierte und damit schon die politische Dimension in Holzers Schaffen betont. Im Souterrain hat Trommer einen Rückblick auf frühe Werkphasen vom Ende der 1970er bis in die 1990er Jahre eingerichtet, die in enger Kooperation mit der Künstlerin als Gesamtinstallation inszeniert wurde. Sämtliche Wände sind hier in einer Art „Inflammatory Wall“ von Plakaten ihrer bekannten „Truisms“ aus den Jahren 1977 bis 1979 und den im Anschluss bis 1982 geschaffenen „Inflammatory Essays“ bedeckt. Die „Truisms“ waren Holzers erste Plakataktion, für die sie anonyme Aushänge im öffentlichen Raum mit einzeiligen prägnanten Texten in schwarzer Schrift auf weißem Papier gestaltete und so zum Nachdenken anregen wollte, etwa mit ihrer Aussage „Abuse of power comes as no surprise“, die unter anderem in der MeToo-Bewegung adaptiert wurde und wieder an Aktualität gewann.
Die nachfolgenden „Inflammatory Essays“, die „aufrührerische Essays“, beinhalten jeweils längere Texte aus 100 Wörtern in 20 Zeilen auf leuchtend farbigem Papier, die radikale Vorschläge, strenge Befehle und düstere Prognosen vereinen. In ihnen kreist Jenny Holzer um Themen wie Toleranz, Idealismus, Gewalt, Konsum, Aktivismus, Geschlechterbeziehungen oder Machtmissbrauch. Überlagert werden sie von vier extrem leuchtenden frühen Sprühgemälden aus den Jahren 1983/84, für die Holzer mit der Graffiti-Künstlerin Lady Pink zusammengearbeitet hat. Pink und Holzer, die seit Beginn ihrer Bekanntschaft im Jahr 1982 oft kooperieren, entwickelten zudem eine provokante ortsspezifische Wandarbeit aus vier raumhohen Graffitis in einem Kubus auf Basis von Aufnahmen der Dokumentarfotografin Susan Meiselas. Aufgenommen während der Bürgerkriege in Nicaragua und El Salvador in den späten 1970er Jahren, thematisieren Meiselas’ Bilder das Leid und die erschütternden Umstände der Zeit.
Im Jahr 1982, als Jenny Holzer an der Documenta 7 in Kassel teilnahm, übermittelte sie auch auf der elektronischen Anzeigetafel am Times Square in New York Botschaften. Daran erinnern auf drei LED-Lichtbänder laufende Texte aus Holzers Serien „Truisms“ und „Survival“. Darin greift sie Konventionen von Nachrichten- und Werbemedien im öffentlichen Raum auf und stellt Empfindungen und Verletzbarkeiten den aggressiven Informationsflüssen, allgegenwärtigen Werbemethoden und kapitalistischen Praktiken entgegen. Einen Gegensatz zu den bewegten schnellen Textflüssen bilden ihre Arbeiten aus Stein. Besonders markant gibt sich der Sitzkreis „Survival“ aus 17 roten Granitbänken, die auf die runde Architektur des New Yorker Guggenheim Museums Bezug nehmen, wo sie 1989 erstmals zu sehen waren. Auf den Sitzflächen vermitteln eingemeißelte Inschriften zwischen Offenbarungen, Dreistigkeiten und Gefühlsausdrücken chargierende Botschaften. „Körper liegen im leuchtenden Gras, manche ermordet, manche beim Picknick“, heißt es da unter anderem.
Für die drei zur Vorderfront gelegenen Säle der Beletage hat Trommer zwanzig neuere Arbeiten ausgewählt. Geschwungene Bänke aus Nero-Portoro-Marmor sind umgeben von großformatigen schwarzen Händeabdrucken. Sie stammen von irakischen Gefangenen, die mutmaßlich von US-Soldaten gefoltert wurden. Jenny Holzer überführte sie aus Dokumenten der US-Regierung ins Ölbild. Thema ist hier die Negierung von Menschenrechten in den USA durch aggressive Verhörmethoden, Schlafentzug oder Schläge, die nicht als Folter klassifiziert werden. Gemalte und mit Blattmetall überzogene Landkarten und militärische Operationen visualisieren weitere Kriegsereignisse wie Willkür, Befehlsnotzucht und Gefechte, die Holzer seit 2005 aus Regierungsberichten des „National Security Archive“ destilliert hat.
Ein makaber anmutender Haufen menschlicher Knochen aus ausgemusterten medizinischen Unterrichtsmaterialien soll als Protest gegen grausame Kriegsverbrechen, als Mahnung und Warnung verstanden werden. Einige Knochen hat Holzer mit Silberringen umzogen und auf ihnen Auszüge aus ihrem Text „Lustmord“ von 1993/95 eingraviert, der die Perspektiven von Täter*innen, Opfern und Beobachter*innen gewalttätiger und manchmal tödlich-sexueller Begegnungen zusammenbringt und unter anderem auf Verbrechen während der Jugoslawien-Kriege Bezug nimmt. Ein Marmor-Sarkophag und mit Blattmetall und Öl auf Leinen transformierte Regierungsdokumente wie Beschwerdebriefe vorgeblich von US-Soldaten misshandelter Personen schließen den Rundgang, nicht ohne das aktuelle Zeitgeschehen zu reflektieren. Eigens für die Schau schuf Jenny Holzer die neue LED-Wandarbeit „Ukraine“ und präsentiert darauf Auszüge aus Berichten der Vereinten Nationen über Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen der russischen Invasion. Zudem konzipierte sie auf Düsseldorfer Werbetafeln neue künstlerische Interventionen für den Außenraum.
Die Kraft von Holzers unbequemen Arbeiten beruht auf einer fast schon paradoxen Anonymität und wissenschaftlichen Neutralität, die auch nur den Anschein einer Stellungnahme zu vermeiden suchen. Trotz des Bezugs auf historische oder zeitgenössische Situationen zeichnet eine fast bleierne Zeitlosigkeit ihre Kunst aus.
Die Ausstellung „Jenny Holzer“ läuft bis zum 6. August. Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in K21 hat täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, samstags, sonn- und feiertags ab 11 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 14 Euro, ermäßigt 12 Euro bzw. 5 Euro. |