 |  | Die Synagoge in Worms | |
Der Rhein: Lebensader, Verkehrsweg, Jahrtausende alter Kulturraum, bedeutende Weinregion. Seine Ufer sind gesäumt von alten Städten, bedeutenden Kirchen, malerischen Burgen. Zwei von vier Welterbestätten der UNESCO in Rheinland-Pfalz liegen an seinen Ufern: der romanische Dom zu Speyer, 1981 als zweites Monument in Deutschland nach dem Aachener Dom gelistet, und das Welterbe „Oberes Mittelrheintal“ mit seiner Fülle von Kulturgütern aus über 2000 Jahren. 2002 erhielt diese Kulturlandschaft den begehrten Status. Seit 2012 bereiten sich weitere Brennpunkte des kulturellen Erbes für eine Aufnahme in die Liste der UNESCO vor. Geschafft haben es bisher die sogenannten SchUM-Städte: So bezeichneten im Mittelalter die Juden die Städte Speyer, Mainz und Worms, in dieser Zeit blühende Zentren jüdischen Lebens mit europaweiter Bedeutung.
Der Name leitet sich ab von den drei hebräischen Anfangsbuchstaben Schin für Schpira, dem jüdischen Namen für Speyer, Waw für Warmaisa (Worms) und Mem für Magenza (Mainz). Die drei Städte vereinen einzigartige Denkmäler jüdischer Kultur. Sie genießen besondere Priorität. 2014 hatten die SchUM-Städte die erste Hürde geschafft: Zusammen mit acht weiteren Vorschlägen wurden sie vom Land zur Aufnahme in die UNESCO-Liste des Weltkultur- und Naturerbes angemeldet. Auf der „Tentativliste“, die deutsche Welterbestätten „im Wartestand“ enthält, sind sie für eine Nominierung frühestens 2019 aufgeführt.
Die im zehnten Jahrhundert etablierten jüdischen Gemeinden gehören zu den frühesten nachweisbaren in Mittel- und Osteuropa. Die weltweite Ausstrahlung und immense Bedeutung für das aschkenasische Judentum begründet ihren außergewöhnlichen Rang. In den Kaufmannstädten waren jüdische Geschäftsleute im Gewürz- und Edelmetallhandel tätig. Begüterte Händler betätigten sich im Bankgeschäft.
Hinzu kommt die Rolle der Gemeinden als Zentren jüdischer Gelehrsamkeit und Kultur. Die Schriftreligion verlangt – anders als im Christentum – Lese- und Schreibfähigkeit. Globale Vernetzungen und wirtschaftliches Engagement erforderten zudem Fremdsprachenkenntnisse. Angesehene jüdische Talmud-Hochschulen in Mainz und Worms beeinflussten durch hoch gebildete Lehrer und Forscher das gesamte Judentum. Mainz war dank bedeutender Gelehrter wie Gerschom ben Jehuda, Jakob ben Jakar oder Elieser ben Nathan 200 Jahre lang ein Zentrum rabbinischer Gelehrsamkeit.
Um gemäß religiösen Vorschriften eine nachbarschaftliche Lebensgestaltung zu verwirklichen, bewohnten die Juden eigene, aber nicht abgeschlossene Quartiere in den Städten. Obwohl es 1096 im Zuge des ersten Kreuzzugs zu Pogromen kam, entwickelten sich die jüdischen Gemeinden unter dem Schutz der Bischöfe und dem Schirm kaiserlicher Privilegien zu ökonomisch und kulturell blühenden Gemeinwesen.
Die unerklärlichen Pestepidemien führten im 14. Jahrhundert zu Verfolgung und Pogromen. Sie leiteten das Ende der hohen Zeit jüdischer Kultur ein. In Speyer und Mainz wurden die Gemeinden nahezu ausgelöscht, in Worms erheblich geschwächt. Während die Wormser Judenschaft trotz vieler Restriktionen bis ins Dritte Reich kontinuierlich bestand, gingen die mittelalterlichen Gemeinden in Mainz und Speyer im Lauf des 16. Jahrhunderts endgültig unter.
In Mainz haben im Gegensatz zu Worms und Speyer keine Reste des mittelalterlichen Judenquartiers die Zeit überdauert. Dagegen kann man in Worms einen ausgezeichneten Einblick in jüdische Baukultur erhalten. Sehenswert ist hier der älteste erhaltene jüdische Friedhof Europas. Vom elften Jahrhundert bis ins Jahr 1911 wurde hier bestattet. Über 2000 erhaltene Grabsteine, darunter rund 700 mittelalterliche, zeichnen diesen einzigartigen Ort aus.
Zentrum des ehemaligen, anhand des Stadtgrundrisses nachvollziehbaren Judenquartiers bildete die 1174/75 errichtete Männersynagoge. Nördlich wurde um 1212/13 eine Frauensynagoge angebaut. Nach dem Wiederaufbau konnte die Anlage im Jahre 1961 erneut geweiht werden. Der gedrungene Bruchsteinbau mit Kreuzgradgewölben in sechs Jochen und zwei Säulen mit prächtigen, in Formen der Wormser Dombauhütte verzierten Kapitellen weist an der Ostwand die Nische für den Tora-Schrein auf.
Ebenfalls wieder restauriert und zugänglich ist die Mikwe. Das übersetzt „Sammelplatz für Wasser“ bezeichnete Ritualbad hinter dem Gotteshaus stammt aus den Jahren um 1185/86. Über den mittelalterlichen Gewölbekellern des Lehrhauses wurde 1980 bis 1982 das so genannte Raschi-Haus mit Stadtarchiv und jüdischem Museum errichtet. Archäologische Funde, Urkunden, Pläne und Spolien lassen in die Geschichte der jüdischen Gemeinde zu Worms eintauchen.
In ihrer Grundstruktur folgte die Wormser Synagoge jener zu Speyer. Im dortigen Judenhof ist sie allerdings nur noch in Form erhaltener Außenmauern zu besichtigen. Der 1104 geweihte romanische Bau wurde im Zuge des Anbaus eines Frauenbetraumes um 1250 gotisch überformt. Bemerkenswert ist die angrenzende, zwischen 1110 und 1120 errichtete Mikwe. Dabei handelt es sich um das älteste, dazu auch noch nahezu vollständig erhaltene Ritualbad in Deutschland. Vorbei an einer Umkleidekammer sowie durch einen Vorraum mit Durchblick in den Badeschacht gelangt man über eine bogenförmige Steintreppe zum Becken in rund zehn Metern Tiefe.
Seit 2010 ist im Judenhof das jüdische Museum SchPIRA angesiedelt. Grabsteine, Münzen, vor allem aber die Architekturfragmente und qualitätvoll ausgearbeitete Bauzier legen Zeugnis ab von jüdischer Kunst und Kultur im mittelalterlichen Speyer. Heute bildet die im Jahr 2011 eingeweihte und nach Plänen des Frankfurter Architekten Alfred Jacoby konzipierte neue Synagoge einen markanten Ort jüdischen Lebens. Schon 2010 konnte mit dem nach Plänen von Manuel Herz errichteten Mainzer Synagogenbau ein skulptural ausgeformtes Gebäude eingeweiht werden, das sich außen wie innen von Symbolik durchdrungen zeigt.
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